Die Sultanin – 1

Die Sultanin

1

Es lebte einst, vor langer Zeit, in einem prächtigen Palast nahe der Stadt Kairo ein alter Sultan. Klug war er und mächtig. Früher ein gewaltiger Heerführer, zog er sich mit zunehmendem Alter auf seinen Palast zurück und lebte dort still und zufrieden, einzig dem Wohlergehen seiner Untertanen gewidmet.

Seine schöne Gattin, nicht mehr jung und doch noch weit entfernt davon eine Greisin zu sein, wich den ganzen Tag kaum von seiner Seite. Wo sie nur konnte half sie dem Sultan bei den Regierungsgeschäften, führte mit kundiger, geduldiger Hand die Aufsicht über die vielen Dienstboten, oder ordnete all jene unzähligen kleinen Angelegenheiten, die im Palast von Nöten waren.

Des Nachts aber, wenn alles schlief, verbrachte sie stundenlang in ihrem seidenen Himmelbett, starrte trübe vor sich hin, den Kopf voll dumpfer, träger Gedanken. Denn, so wird erzählt, die gütige Sultanin litt seit Jahr und Tag an Schlaflosigkeit. Nacht für Nacht lag sie wach, erst gegen Morgen versank sie in einen unruhigen, traumlosen Schlummer, aus dem sie indes nach kurzer Zeit müde und wenig erquickt wieder aufschreckte.

Während jener langen nächtlichen Stunden nun pflegte sie für gewöhnlich früher oder später nach ihren zwei Zofen zu rufen, deren Kammer sich direkt neben dem prächtigen Schlafgemach befand. Sie mussten sich zu ihr auf den Rand des Bettes setzen und sie mit allerlei Plaudereien, Gedichten, Liedern und Geschichten unterhalten.

Eines Nachts nun, die beiden Mädchen saßen wie gewöhnlich bei ihr, da wandte sich die Sultanin an eine von ihnen und sprach: „Oh, liebe Mariyah, sei so gut und erzähle mir eine von deinen schönen Geschichten. Wieder einmal flieht mich der Schlaf und gar weit noch ist es bis zum Morgengraun.“

Da verneigte sich die Angeredete ehrfürchtig, setzte sich auf dem weichen Rand des Bettes zurecht und begann:

„Es ist mir zu Ohren gekommen, oh meine Herrin, dass in der Stadt Safaga einst ein reicher Kaufmann lebte. Wahren und Schätze besaß er im Überfluss, aber sein eigentlicher Reichtum war seine Tochter. Denn Sajah, so hieß das Mädchen, war so schön, dass selbst die gewaltige Sonne vor Neid erblasste. Ihr langes, tief schwarzes Haar fiel weich und luftig wallend hinab bis zu den gerundeten Hüften. Glatt und samtig wie feinste Seide schimmerte ihre Haut, ohne den geringsten Makel. Ihre Hände und Füße, Arme und Beine waren so schlank und zierlich, dass sie selbst der vollendeteste Künstler nicht hätte nachbilden können – Lob sei Allah, dem Erhabenen.

Es wohnte aber eine Dschinniya nahe der Stadt in einer Felsenhöhle. Diese war nicht nur böse und hinterhältig, sondern wurde, wie die meisten Dämonen, auch von unersättlicher Wollust getrieben. An Straßen und Wegen lauerte sie einsamen Reisenden auf, lockte sie in die Wüste und verschleppte sie in ihre Höhle. Dort hielt sie sie gefangen und sie mussten ihrer Lust gefügig sein.

Als jene Dschinnya die strahlende Sajah nun erblickte, wie diese mit ihren Dienerinnen vor der Stadt spazieren ging, entbrannte sie sogleich vor Eifersucht und Gier nach soviel Schönheit – denn wie die Weisen sagen: was dem Guten schön und rein, erregt des Bösen Widersinn. So bezaubert war sie von den Reizen des Mädchens, dass sie an nichts mehr denken konnte als daran, wie sich die schöne Tochter des Kaufmanns in ihre Gewalt bringen ließe.

Doch jener Kaufmann war ein sehr frommer und wachsamer Mann. Stets weilten mehrere Diener bei seiner Tochter. Abends verschloss er eigenhändig Türen und Fenster des Hauses und Sajahs Gemächer wurden zudem mit mehreren silbernen Riegeln versperrt, so dass sich ihr kein Fremder nähern konnte.

Jede Nacht schlich die böse Dschinniya nun um das Haus des Kaufmanns und spähte durch die Fenster. Sah sie einmal einen Schatten hinter den Vorhängen, so verging sie fast vor ungezügeltem Verlangen. Ihr finsterer Verstand sann und sann so lange, bis sie einen Plan gefasst hatte.

Eines Tages, Sajah hatte eben ihren neunzehnten Geburtstag gefeiert, klopfte es an das Tor des Kaufmanns. Draußen stand eine alte Frau in einem langen, zerschlissenen Umhang. Barfuss war sie und über der Schulter hing ihr ein schmutziges Bündel.

„Was willst du, Alte?“ fragte der Kaufmann barsch.

Es war aber die Dschinnya, die eine andere Gestalt angenommen hatte. „Seid gegrüßt, Herr.“ antwortete sie mit verstellter Stimme. „Ich bin alt und komme von weit her. Seit Tagen bin ich unterwegs durch die staubige Wüste. Seht nur, wie wund meine Füße sind. Bitte, seid so gut und gebt mir für eine Nacht Obdach.“

Da erweichte sich das Herz des Kaufmanns. Er ließ sie eintreten und befahl ihr zu essen und zu trinken zu bringen. Als sie reichlich gegessen und getrunken hatte, setzte er sie auf einen weichen Diwan, über den noch eine warme Decke aus Kamelhaar gebreitet war.

„Ich danke euch, großer Herr.“ seufzte sie und streckte ihre runzligen Glieder, „Nun, als Dank möchte ich euch eine Geschichte erzählen, so spannend und so schön, dass ihr die Zeit darüber vergessen mögt.“

„Warte“, rief der Kaufmann hoch erfreut, „ich will meine Tochter rufen. Keiner liebt Geschichten so sehr wie sie.“ Er ließ sofort nach Sajah schicken.

Als diese kurz darauf den Raum betrat war es, als würde der Morgenstern selbst durch die Tür treten. Ihre Lippen leuchteten rot wie pralle Kirschen, die Wangen glänzten zart und unter dem vornehmen Seidengewand zeichneten sich die weichen, vollen Rundungen ihres Leibes ab.

Die Alte – die ja in Wirklichkeit die böse Dschinnya war – musste sich zwingen, um die wild auflodernden Flammen ihrer Wollust zu bekämpfen. Das Mädchen schien ihr noch tausend Mal begehrlicher und zugleich hassenswerter als zuvor. Mit federndem Gang schritt Sajah auf ihren Vater zu und verneigte sich ehrerbietig. Dann wandte sie sich an die Alte und sah sie aus ihren rehbraunen, sanften Augen an. „Sei willkommen, Alte.“ sagte sie mit ihrer wohlklingenden Stimme, „Ich hörte, du kannst uns eine Geschichte erzählen? Ich habe gute Geschichten sehr gern.“

Die böse Dschinnya setzte ein unterwürfiges Gesicht auf und antwortete: „Oh, ich wollte so. Doch wie, Herrin, müsste jemand, der nicht etwa blind ist, bei solch strahlendem Glanze nicht alle Worte vergessen? Gewiss, meine Geschichten gelten weithin als außerordentlich spannend und köstlich, doch könnte ich auch mit den Zungen der Engel sprechen, so würde eure unvergleichliche Schönheit doch jede Erzählung unwert und hässlich erscheinen lassen. Ich bitte euch also, jagt mich zurück in die einsame Wüste. Dort will ich wandern und mich nähren von der Erinnerung an die Zier eures Anblicks.“

Das Mädchen aber lächelte und ließ sich auf einem weichen Teppich zu den Füßen ihres Vaters nieder. „Bleib, Alte. Lang und einsam sind meine Abende und nichts füllt sie besser, als eine spannende Geschichte. Ist deine Erzählung wirklich so köstlich wie man sagt, wird mein Vater dich dafür nicht unbelohnt lassen.“ Tatsächlich nickte der reiche Kaufmann und strich seiner Tochter gutmütig über das seidige Haar.

Da begann die Dschinnya nun zu erzählen. Ihre Rede war aber so vollendet, so spannend, aufregend und fesselnd, dass der alte Kaufmann und seine Tochter alles um sich her vergaßen. Und als sie geendet hatte, fühlten sich beide wie aus einem wundervollen Traum erwacht.

„Oh, wie schön.“ seufzte Sajah, „Erzähle uns noch eine Geschichte. Aber sie muss eben so vortrefflich wie die Erste sein.“

Also erzählte ihnen die Dschinnya eine zweite Geschichte. Und als diese zu ende war noch eine Dritte. Dabei wurde ihr dunkles Herz immer zufriedener, denn sie freute sich, dass ihr böser Plan so mühelos aufging.

Als sie nun auch diese Geschichte beendet hatte, war die schöne Sajah wie verzaubert. Sie bettelte und flehte ihren Vater an, die Alte im Hause zu behalten, damit sie ihr täglich solch wundervolle Geschichten erzählen könnte. Dem Kaufmann indes tat der Gedanke wohl, dass seine Tochter des Abends, nachdem er die Türen versperrt, eine Beschäftigung hatte.

Da war also die Alte als Magd in das Haus des Kaufmanns aufgenommen. Tagsüber verrichtete sie mit den anderen Dienstboten die Hausarbeit, aber des Abends musste sie der schönen Sajah ihre herrlichen Geschichten erzählen.

Das ging so viele Wochen. Jeden Abend lauschte das Mädchen vor dem schlafen gehen den Worten der Dschinnya und hatte sich bald so daran gewöhnt, dass sie keine Nacht mehr ohne sie sein mochte. Dazu kamen noch mancherlei kunstvolle Schmeicheleien, welche die Alte geschickt in ihre Erzählungen einflocht. Kurz, nicht lang und die böse Dschinnya hatte das Vertrauen des hübschen Mädchens gewonnen.

Da fing sie nun aber an ihre Erzählungen behutsam in eine gewisse Richtung zu lenken. Immer öfter handelten die Geschichten nun von Liebe, Lust, Leidenschaft und allerlei körperlichen Genüssen. Wenn freilich der Kaufmann, was gelegentlich geschah, sich zu ihnen gesellte, erzählte die Alte sogleich wieder höchst sittsam von dem Prinzen, der auf einem Mondstrahl zum Abendstern ritt, oder von den zwei Königen, die sich nicht einigen konnten, wer von beiden der klügere war. Doch kaum waren die Alte und das Mädchen dann allein, wurde ihre Erzählung wieder sinnlich und aufreizend.

Sajah aber lauschte ihr wie gebannt. Natürlich war sie mit neunzehn Jahren längst schon kein Kind mehr, doch von den Genüssen einer Frau, wie sie die Alte so unvergleichlich zu beschreiben verstand, hatte sie nie zuvor gehört. Eine ganz sonderbare, herrlich süße Empfindung erfüllte sie bei solch sinnlichen Worten. Mit glühenden Wangen lag sie dann in ihrem kostbaren Himmelbett, während die Alte daneben auf einem Schemel saß und immer neue, immer süßere Geschichten ersann.

Und niemand sah das böse Lächeln um den Mund der Dschinnya. Niemand hörte, wie sie oft leise und spöttisch in sich hinein kicherte. Niemand bemerkte den heißen, gierigen Blick, mit dem sie Sajah oft lange betrachtete, wenn diese nach ihren ausschweifenden Worten endlich eingeschlafen war.

Eines Abends nun, der Kaufmann und die Dienstboten waren schon zur Ruhe gegangen, saß die Alte wieder bei dem Mädchen im Schlafgemach. Eine Talgkerze brannte, im Haus und auf der Gasse war es still, nur die tiefe Stimme der Alten sprach leise und schmeichelnd:

„Ich möchte euch, schönste der Schönen, heute etwas besonders Köstliches erzählen. Die Geschichte nämlich von der armen Prinzessin Layla. Layla, oh wunderbare Herrin, war einst die Tochter eines mächtigen Sultans. Schön war sie und klug. Oh, natürlich nicht so schön und klug wie ihr, denn das ist unmöglich, aber doch schön genug, dass sich die edelsten Herren der Stadt sämtlich nichts sehnlicher wünschten, als sie zur Gemahlin zu nehmen. Die Prinzessin aber war hochmütig und eitel. Sie lachte ihre Verehrer aus, ja, sie brachte ihren Vater sogar so weit, dass er einige von ihnen gefangen nehmen und grausam hinrichten ließ, während sie mit hochmütigem Lächeln zusah.

Einer ihrer Verehrer, oh Gebieterin, war aber ein großer Magier. Und als Rache für die Schmähungen, welche die Grausame ihm zugefügt, sprach er über sie einen bösen Fluch.

Von nun an hatte Layla jede Nacht denselben, furchtbaren Traum. Es träumte ihr, sie wäre allein in einem zauberhaften Garten. Vögel sangen dort, klare Bäche plätscherten und ringsum hingen pralle Früchte an schattigen Palmen. Ihre Kleidung bestand aus nichts als einem weiten, luftigen Seidenumhang. Da schlüpft etwas unter den Saum ihres Gewandes, eine Feder, lang und dicht. Sie bewegt sich wie von Geisterhand ihren nackten Körper hinauf, streicht wie ein zarter Windhauch über die bloße Haut. Nun, ihr müsst wissen, süßeste Herrin, dass die schöne Prinzessin ausgenommen kitzlig war. Doch – oh Schreck – ihr Leib ist wie zu Stein erstarrt. Die lange Zauberfeder erkundet flatternd ihren ganzen, kitzligen Körper, ihren Bauch, ihre Brüste, ihre Schenkel.

Oh, wie die arme Prinzessin da lachen musste! Sie konnte sich ja nicht rühren und die verzauberte Feder war so schrecklich neugierig, dass sie selbst die geheimsten Stellen einer Frau nicht verschonte, ja es schien, als ob sie gerade dort ganz besonderes Vergnügen fände. Des Morgens dann, wenn die schöne Layla erwachte, war sie wie von Sinnen vor kitzliger Qual und Lust.

Denkt euch nur, meine Gebieterin, jede Nacht hatte die Prinzessin nun jenen Traum. Kaum war sie eingeschlafen, so kam auch schon die Feder und kitzelte sie unter ihrem Gewand bis zum Morgengraun. …“

Etwa so, teuerste Sultanin, begann die Dschinnya an jenem Abend zu erzählen, nur war ihre Rede natürlich viel ausgeschmückter und feiner, als ich sie wiederzugeben verstehe.

Sajah, die Tochter des Kaufmanns, hatte indes nie einer Erzählung so aufmerksam und gebannt gelauscht. Mit roten Wangen lag sie in ihren weichen Seidenkissen und gelegentlich entfuhr ihr ein leises, entrücktes Seufzen. Wieder und wieder bat sie die Alte ihr gewisse Einzelheiten noch ausführlicher zu beschreiben; wie genau sich die böse Zauberfeder unter dem Gewand anfühlte, oder an welchen Körperstellen die arme Prinzessin die größten, süßesten Kitzelqualen litt. Nur zu gern folgte die Alte und erging sich in immer aufreizenderen Schilderungen.

Später des Abends aber, als Sajah endlich eingeschlafen war, blieb die böse Dschinnya noch lange bei ihr sitzen und sah finster auf ihr vollkommenes Antlitz herab. Um ihren Mund spielte ein böses Lächeln.

Von nun an verlangte das Mädchen all abendlich ähnliche Geschichten zu hören. Der Erfindungsreichtum der Alten schien keine Grenzen zu kennen. Nacht für Nacht saß sie am Bett der Schönen und sprach tief und sanft von immer neuen, immer köstlicheren, immer kitzligeren Abenteuern. Von der faulen Köchin Habibah erzählte sie, die stets zu viel Salz an das Essen gab. Zur Strafe ließ ihr Herr ihren Leib mit einer salzigen Flüssigkeit einreiben, welche danach von sieben Ziegen wieder abgeleckt wurde. Sajah wurde nicht müde von den dicken, rauen, kitzelnden Zungen zu hören, wie sie stundenlang über den bloßen Körper der Köchin glitten.
Oder von Alima, der Tochter des Emirs, die von ihren eigenen Schwestern entführt und in einem unterirdischen Palast gefangen gehalten wurde. So lange kitzelten sie die Arme, und so sehr musste Alima lachen, dass sie sich zuletzt in eine silberne Wolke verwandelte und so ihren lüsternen Schwestern entkam.

„Ohhh“, seufzte da die schöne Sajah, nachdem ihr die Alte jede einzelne von Alimas süßen Qualen ausreichend geschildert, „wie unvergleichlich du sprichst. Fast ist mir, als würde ich selbst die Finger und Federn auf meiner Haut spüren. Oh, gewiss würde ich ebenso heftig lachen müssen wie die schöne Alima.“ sie kicherte verträumt.

Auch die Alte kicherte. Es war aber ein böses Kichern, voll Hinterlist und Gier.

So verstrich die Zeit. Immer größer wurde das Zutrauen des Mädchens, und so gekonnt schmeichelte und betörte sie die Dschinnya mit ihren Honig süßen Worten, dass Sajah endlich ihre persönliche Kammerdienerin, die des Nachts in ihrem Gemach weilte und schon seit vielen Jahren bei ihr Dienst tat verstieß, und die Alte an ihre Stelle nahm. Sie musste sie kämmen, mit duftenden Ölen einreiben, ihr das Lager bereiten – eben all jene Tätigkeiten, welche auch etwa eure Kammerdienerinnen, Herrin, zu verrichten haben.

Der Kaufmann sah dies mit Wohlwollen. „Wie glücklich bin ich“, sagte er einmal zu der Alten, „dass das Schicksal dich in mein Haus führte. Nie zuvor sah ich meine liebe Tochter so froh und ausgelassen. Ja mir scheint, als wäre sie seitdem du hier bist noch um einiges Schöner und strahlender geworden.“

Da beugte die Alte den Kopf und blickte wie beschämt zu Boden. Ins Geheim aber konnte sie ihre finstere Wollust kaum noch bezähmen!

Schließlich kam die Nacht, die sich die Dschinnya für ihren Plan auserwählt hatte. Der Mond leuchtete rund und voll am Himmel, wie eine reife Pomeranze. Nachdem sie die schöne Sajah gewissenhaft entkleidet und in das samtene Bett gelegt, saß sie wieder auf ihrem Schemel und begann ihre all abendliche Erzählung. Die tiefen, braunen Augen des Mädchens blickten voller Erwartung zu ihr auf, als sie mit sanfter Stimme so begann:

„Hört nur, oh wunderbare, leuchtende, vollendete Sajah, hört, was ich euch heute Nacht erzähle. Es lebte nämlich einst in einer großen Stadt ein Kaufmann. Der hatte eine Tochter, die war so schön, dass selbst der goldene Mond seinen Blick nicht von ihr wänden mochte. Eines Nachts, ihr Vater befand sich bereits in tiefem Schlaf, lag das Mädchen in ihrem Bett aus feinster Seide und bewunderte den Mond, wie er so voll und rund zu ihr ins Zimmer sah. Da flog aber eine böse Dschinnya an ihrem Fenster vorbei. Als diese das schöne Mädchen erblickte, entflammte sie sogleich in heißer Leidenschaft für sie. In einen Lufthauch verwandelt wehte sie durch das Fenster ins Schlafgemach. Hier aber verwandelte sie sich zurück, hob das erschrockene Mädchen aus ihrem Bett und trug es auf ihren Armen weit fort, bis in ihre Höhle – denn in Höhlen, müsst ihr wissen, wohnen die Dschinn. In ihrer dunklen Wohnung angekommen, fesselte sie das schöne Mädchen mit Armen und Beinen an vier goldene Ringe. Dann begann sie mit ihr zu spielen. Sie kitzelte und erregte die schöne Kaufmannstochter auf so auserwählte und kundige Art, wie allein die Dschinn es verstehen. Ständig wechselte sie ihre Gestalt, wand sich mal als Schlange um die zierlichen Schenkel, leckte als schwarze Ziege über Füße und Brüste, oder umschloss den zarten Leib in Gestalt einer dichten Wolke aus seidigen, wild flatternden Federn.

Und kein Mensch hörte das verzweifelte Lachen der Schönen. Die böse Dschinnya vergnügte sich für alle Zeit nach Herzenslust mit ihr und niemand rettete sie. Niemand kam. Niemand befreite … Sajah!“

Bei dem letzten Wort sprang sie jäh von ihrem Schemel auf, legte die verhasste Gestalt der Alten ab und gab sich zu erkennen. Noch bevor das arme Mädchen auch nur einen Gedanken fassen konnte, da packte es die Dschinnya, presste es an sich, riss das Fenster auf und entschwand mit ihm in die Nacht hinaus.

Niemand hat die schöne Sajah seitdem gesehen. So sehr der Kaufmann und seine Diener auch suchten, das schöne Mädchen blieb verschwunden.

Man sagt aber, oh Herrin, dass man seither des nachts bei Vollmond unheimliche Laute aus einem Felsen nahe der Stadt vernehmen kann; Seufzen, Stöhnen, bittendes Flehen und unbändiges Gelächter. Ich selbst habe es freilich nie gehört, aber man hat es mir erzählt.“

Hinterlasse einen Kommentar